Es ist ein disaster!
Meine Freundin Laura Lehmus hat einen Film gemacht. Er heißt “sweet disaster” und ist derzeit in ausgewählten Kinos zu sehen. Es ist Lauras erster Film. Laura ist 50. So weit, so wunderbar!
Und nicht weniger wunderbar ist die Frau, um die es geht: “Frieda” ist auch schon etwas älter. 40 um genau zu sein. (Warum das bei Frauen immer so eine Rolle spielt, liegt leider auf der Hand: Wir werden immer noch vor allem biologisch bewertet. Frauen sollen Kinder kriegen. Und weil die Fähigkeit hierzu zeitlich begrenzt ist, ist die unfruchtbare Frau irgendwie für garnix gut. Sagt natürlich keine(r) so. Wird aber so empfunden. Und deshalb steht das Alter bei einer öffentlichen Frau, spätestens ab dem 40ten immer mit dabei .
Frieda (40) kriegt ein Kind. (So sieht das dann aus. Gespielt wird Frieda übrigens von Friederike Kempter. Und das sehr leicht und zauberhaft.) Der Vater, gespielt von Florian Lukas (49, bei einem Mann merkt man sofort, wie unwichtig diese Info ist!) wichtig ist vielmehr, wie herrlich melancholisch-betreten er das männliche Versagen seiner Rolle anskizziert. Sein werdender Vater nimmt sofort Reißaus. (Ich glaube ja, die Figur ist zu alt, um sich nochmal auf was ganz neues einzulassen. Seine Ex, zu der er zurückflieht, ist auf jeden Fall NICHT schwanger. Dafür vertraut. Naja. Der Mann geht, weil er es kann.) Und Frieda (40) steht mit ihrer Schwangerschaft alleine da.
Aber sie weigert sich, das disaster zu akzeptieren und denkt sich die eigene Geschichte neu. Die Welt als Vorstellung! Dabei ist sie keine versponnene Romantikerin, mit Pippi Langstrumpf-Touch, im Gegenteil: Frida ist eine gerissene Imaginations-Kriminelle. Die Männerfiguren, die in sweet disaster allesamt durch Abwesenheit glänzen, denkt sich Frieda teilnehmend herbei, sie denkt sich Farben in die tatsächliche Tristesse und Freunde in die Einsamkeit. Sie gibt nie auf. Sie fordert. Sie ist eine Macherin. Und setzt da an, wo garnichts ist. Nur Friedas Gedanken. Und die sind frei.
Ihre Imaginationen sind in “sweet disaster” farbenfroh ausinszeniert! Aus einem Fenster fliegen bunte Bälle, Törtchen verzieren sich selbst, eine Skatrunde verwandelt sich in flaumig weiche Omas, die immer genau dann da sind, wenn frau sie braucht.
Allerdings verwickelt ihre Weigerung, die Realität so trist hinzunehmen, wie sie eben ist, Frieda auch immer wieder in desaströse Situationen. Und genau die haben das Potenzial um die Kluft zwischen Vorstellung und Realität zu überbrücken. Die ausgelösten Katastrophen fungieren wie elektrische Entladungen, auf denen Friedas Ideenfunken in die Realität übersetzen. Peng! Und plötzlich sieht die Welt ein bisschen anders aus. Mehr so, wie in Friedas Traum.
Am Ende bringt das Scheitern Frieda in Kontakt. Mit jeder Menge Frauen: Alleinerziehenden, Heranwachsenden, Herausgewachsenen, Einsamen und Überforderten. Geteiltes Leid wird halbes Leid. “Kuchen?” fragt eine der Omies, wenn das Chaos mal wieder Überhand nimmt. Und schon wird das disaster sweet.
“Du hast eine Schwangerschaft als Heldenreise inszeniert!” habe ich Laura nach der Premiere gratuliert. “Nein,” hat sie geantwortet, “es ist keine Heldenreise. Es ist eine Heilungsreise.” Und ich finde: Genau das brauchen wir jetzt: Heilungsreisen! Keine starken Superheroes, die im Alleingang die Welt retten. Sondern sensible Kreatuere, die die Welt gemeinsam neu gestalten wollen.
Ich gratuliere Laura Lehmus, die selbst eine absolute Frieda ist! Eine, die es geschafft hat, der Realität einfach ein Schnippchen zu schlagen. Ihr Film ist auf so vielen Ebenen unwahrscheinlich, wie eine späte Schwangerschaft: Es spielen fast nur Frauen mit! Der Alterdurschnitt der Darstellerinnen liegt bei ca. 50 Jahren! Die story ist genauso melancholisch, wie sie optimistisch ist! (Drehbuch: Ruth Toma) Lauras Alter fällt bei so einer Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten einfach mal unter den Tisch. Wo es natürlich hingehört!)
Und jetzt soll nochmal eine(r) sagen: “So etwas gibt es garnicht, auf dem deutschen Filmemarkt.” Jetzt aber schon! Über 35 Preise hat Laura Lehmus international mit “sweet disaster” bereits abgeräumt. Auf 103 Festivals lief ihr Film. Und es werden immer mehr!
Laura: Ich feiere dich! SO WAS VON! Du machst mir Mut. Deine Geschichte empowert mich. Die fiktive genauso, wie die reale. Friedas Technik hast du auf den Filmmarkt angewandt. Und sie hat offensichtlich funktioniert! Das ist eine gute Nachricht. Eine phantastische! Danke, dass ich mit dabei sein darf. Deine Mareile (46) ;-)
Ich spiele in “sweet disaster” eine übervorsichtige Helokoptermami, die mit Friedas Hilfe lernt, ihrer ungewöhnlichen Tochter (Lena Urzendowski) zu vertrauen. Diese Kolumne ist für das Blogazin PalaisFluxx entstanden. Dort wird eine Sondervorstellung von “sweet disaster” am 30. 08. um 19:30 in den Zeise Kinos (Friedensallee 7-9) beworben. Ich werde anwesend sein und im Anschluss an das screening zusammen mit Anna-Maria Kuricová (meiner zukünftigen Geschäftspartnerin) eine gemeinsam entwickelte Empowerment-Methode launchen, die Friedas kreativem Ansatz nicht unähnlich ist. (Ticketreservierung: 040 / 30 60 36 82) Es gibt Sekt!