Warum ich heute auch über meinen Hass auf meinen Beruf spreche.
Hass ist ein großes Wort. Für ein großes Gefühl. Das gemeinhin als negativ eingeordnet wird. Ein Gefühl, das man nicht haben soll, von dem man sich keinesfalls leiten lässt, das ungut auf einen zurück wirkt usw, usf. Auf der Schauspielschule habe ich gelernt, Gefühle nicht zu bewerten. Der Darstellung eines Gefühls steht seine Bewertung im Weg. Wie sollte man einen Mörder spielen, während man seine Tat verurteilt?Darüber, wie befreiend das dann ist, hassen zu dürfen, lieben, leiden, verführen, betrügen, bekämpfen, verletzen, operieren usw. habe ich in meinem Blogpost: "Warum ich heute über die Liebe zu meinem Beruf sprechen möchte" schon zu beschreiben versucht. Hier soll es jetzt darum gehen, was ich an meinem Beruf hasse. Johanna Schall hatte diese Idee. Nachdem wir letztens unsere Artikel dazu ausgetauscht haben, was wir so dran lieben. An unserem Beruf. Am darstellenden Spiel.
OK: Das Spielen selbst, ist schwer zu hassen. Manchmal ist man fehlbesetzt. Dann hat man Glück, wenn man noch vor der Premiere einen Zugang zur Rolle findet. Und manchmal sind einem die Gedanken und die Ästhetik des Regisseurs fremd und dann muss man sich unter Umständen auf der Bühne für etwas verbiegen, für das man, im wahrsten Sinn des Wortes, nicht gerade stehen kann. Manchmal gerät man an Menschen, die mit ihrer Aufgabe überfordert sind und am Set oder im Theater Angst und Schrecken verbreiten. Ätzend. Oder man hat einfach einen Scheißauftritt, eine kleine, undankbare Rolle usw. Echt blöd, alles.
Der Hass beginnt woanders.
Da, wo das Spiel aufhört. Oder nicht wieder anfängt. Der Hass beginnt beim Warten auf das nächste Engagement. Auf ein Casting. Eine Besetzung. Die Machtlosigkeit, die damit verbunden ist, nicht gefragt zu sein. Der Hass beginnt da, wo der Markt beginnt. Wo der Verkauf startet. Wenn man selbst die Ware ist, die man feil bietet, und dann will die keiner. Zu alt. Zu blond. Zu unbekannt und viel zu kurze Haare.
Ich habe im Mai im Hotel Olympic in München übernachtet. (Ich hatte Glück und war zum drehen in der Stadt). Im Hotel Olympic, da stimmt einfach alles: Holzfußboden (kein Teppich!), schöne Möbel, superfreudlicher Service, angenehme Gäste, sogar drei verschiedene Kopfkissengrößen stellen sie einem im Hotel Olympic zur Auswahl bereit und an den Wänden hängen Originale rum, Werke von den (größtenteils) künstlerischen Gästen des Hotels. Im Hotel Olympic, da kann man wirklich wohnen. Und das trifft ja weiss Gott nicht auf jedes Hotel zu.
Ich hätte mich aber besser nicht ganz so wohl gefühlt dort. Im schönsten Hotel der Stadt. Am Frühstücksbuffet hat sich die Sache gerächt. Auf der einen Seite. Auf der marktwirtschaftlichen. Da saß ich da nämlich so total tiefenentspannt herum und trank meinen Milchkaffee. Ungeschminkt. Mit vom Schlaf zerwühlten Haaren. Es war schon Vormittag. Ich war die Letzte und fand kaum noch einen freien Platz. Um mich herum roch es nach frisch aufgebackenen Croissants, Kaffee und geschmackvollen Aftershaves. Holzige Zitrusnoten lagen in der Luft und das Aroma von frisch geföhntem Damenhaar. Kennt ihr das? Wenn man plötzlich merkt, dass man völlig ungeduscht unter Geduschten rum sitzt? Sehr doofes Gefühl. Und wenn man dann auch noch bemerkt, dass um einen herum die halbe Filmbranche Münchens vertreten ist, ich kann's euch sagen, das Croissant rutscht einem dann deutlich weniger geschmeidig Richtung Magengrube durch.
Einer meiner großen Träume ist ja das Unsichtbar sein. Unsichtbarkeit als magische Fähigkeit. Als geheime Superpower. Um Dinge zu sehen und zu verstehen, die einem sonst vorenthalten werden. Aufgrund von Sichtbarkeit. Ich war mir immer schon sicher: Die wirklich interessanten Sachen zwischen den Anderen finden statt, wenn ich NICHT dabei bin. Meine Sichtbarkeit, meine tatsächliche Präsenz schneidet mich vom Mysterium meiner Mitmenschen ab. Ich denke, das kennt ja jeder, dieses Gefühl. Also für mich ist das einer der Gründe, warum ich so wahnsinnig gerne ins Kino gehe: Weil ich da, im Kinosessel, meine Sichtbarkeit abgebe, um mich, theoretisch unsichtbar, einer fremden Realität hinzugeben, die nicht inne hält, sobald ich den Raum betrete.
Leider bin ich nie besonders erfolgreich darin gewesen, mich auch praktisch unsichtbar zu machen. Ich hab große Augen, es fällt total auf, wenn ich damit längere Zeit aus unklaren Gründen irgendwen anstarre. Und da, an diesem Hotelbuffet, tanzte ich ja eh' schon aus der Reihe, als einzig Unfrisierte. Und trotzdem: Tatsächlich war ich irgendwie unsichtbar, an diesem Vormittag in meinem Lieblingshotel in München. Keine Ahnung warum. Vielleicht der Durchbruch. Im Unsichtbar sein. Besser als der Filmbranche in München als "die Ungeduschte aus dem Olympic-Hotel " in Erinnerung zu bleiben.
Warum ich das hier alles aufschreibe? Naja, es fanden Besetzungsgespräche statt, um mich herum. Besetzungsgespräche und auch allgemeine Gespräche über Schauspieler. Keine Ahnung, warum ausgerechnet ich da mitten drin gelandet war. Vielleicht, damit ich was zum Schreiben habe, wenn Johanna Schall vorschlägt: "Wir sollten jetzt auch über den Haß auf unseren Beruf berichten".
Es tat weh. Es ging um den Marktwert von Kollegen, um ihr Aussehen, ihre Ausstrahlung, ihr Standing, ihr Was-weiss-ich. Menschen als Ware. Körper als Produkte, das Produzieren von Gefühl als Währung. Die Schattenseite des Berufs. Die Düsternis hinterm Scheinwerferglanz.
Um ehrlich zu sein: Ich hab das Croissant nicht aufgegessen. Nicht mal den Kaffee hab ich zu Ende getrunken. Ich hab mich zügig in mein Hotelzimmer zurück gezogen. Schneckengleich. Und ich war sowas von heilfroh, dass ich an diesem Tag was zu spielen hatte. Sonst hätte ich womöglich noch eine Nacht drauf buchen müssen, um mich in Ruhe aus dem schwarzen Loch heraus zu wuchten, in das einen solche Gespräche hinein ziehen können. Vor allem, wenn man selbst darin gar keine Rolle spielt. Scheiß auf die Unsichtbarkeit!
Wir Schauspieler sind nicht nur auf der Bühne/vor der Kamera diejenigen, die sich mit den vielfältigen Aspekten des "Mensch seins" herum zu schlagen haben. Wir tun es auch im Dunkeln. Wir probieren aus, was passiert, wenn man seine eigene Marke ist. Wie es sich anfühlt, wenn man sich bis zum persönlichen Limit selbst optimiert um dann hochmotiviert, frisch gebotoxt und mit geliehenen Klamotten auf fremden Premierenpartys zu erscheinen, weil man keine andere Wahl hat. Da rum zu stehen, auf meinen Beinen (unversichert), mit meinen Augen, meinem Lächeln, meinen Zähnen, die beim Lächeln sichtbar werden (es sind eher so "Liebhaberobjekte"meine Zähne, ich setzte da auf den Charme des Unperfekten, sie weichen ab von der Zahnpastagrinsenorm, vermutlich ein Minuspunkt, wenn ihr versteht, was ich meine) und meinen überflüssigen Gedanken: Mehr Marktwirtschaft geht nicht. (Wikipedia sagt: Marktwirtschaft ist ein Wirtschaftssystem, in dem die Produktion und der Preis von Waren durch Angebot und Nachfrage geregelt werden). Ich sage: Es ist verdammt schwer, sich selbst zum Verkauf anzupreisen. Was soll man auch sagen? "Hey, besetz' doch mal mich! Mein Verfallsdatum ist überhaupt noch nicht erreicht ich bin auch sonst voll super"! Welcher Mensch ist das schon? So alles in allem?
Naja. Dieser liebevolle Versuch mich hasserfüllt zu meinem Beruf zu äußern, soll tatsächlich bitte nicht als Vorwurf gegenüber denjenigen verstanden werden, die in diesem Geschäft auf der produzierenden Seite stehen. Das ist schon klar, dass wir alle denselben Gesetzen unterworfen sind. Die Nachfrage ist halt das Problem. Die Quote. Ich will der echt niemals persönlich begegnen müssen, dieser geschmacklosen Despotin. Was ist das überhaupt für Eine? Hockt da tagein-tagaus auf dem Sofa rum, guckt doppelt so gern männlichen Darstellern und Frauen nur bis max. 35 zu, (hier in Deutschland auch unglaublich gerne Männern in Polizeiuniform übrigens), steht auf Reality TV Trash, schlechte Liveshows und ist sowieso überhaupt nicht meine Freundin. Die Tatsache, dass ich der überhaupt nicht gefallen WILL, weil ich mir dann vermutlich selbst überhaupt nicht mehr gefalle, finde ich am Ende zumindest ein bisschen tröstlich. Erfolg ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal. Und die Quote ist der Marktwirtschaft auf jeden Fall eine überzeugend gute Schwester. Tja. So läuft das halt.
Ach, ich weiß ja leider auch nix Besseres. Ich will ja nicht die Welt retten. Ich will doch nur spielen.