Berlinale 2022. Wo zwei sind, da ist Theater.
Dieses Jahr habe ich auf der Berlinale Menschlichkeit erfahren. Nachts um halb zwölf. Da habe ich die Absperrung durchbrochen und bin auf den roten Teppich gestürmt. Olé! Ich sah allerdings scheiße aus. Nicht wegen meinem Outfit, das war cool, aber ich konnte kaum laufen. Meine Füße waren eingefroren. Und das bemerkte ich erst, als ich versuchte, zu gehen. „Tschü-hüüs!“rief ich, nachdem ich ziemlich lange herum gestanden hatte, winkte und fiel.
Beinahe. Denn während mein Körper sich auf den Weg machte, meine Premierenparty zu verlassen, ach was, keine Party, ein Stehempfang, open air (was denkt denn ihr?!) da blieben meine Füße einfach stehen. Ich hatte keine Macht über sie. Da klebten zwei Eisklötze am Boden. Zum Glück bin ich sportlich recht aktiv. Ich konnte die Tatsache, dass diese Eisklötze, die zweieinhalb Stunden vor einem Foodtruck hinter dem Kino in Lackslippern und Feinstrumpfhosen tiefgekühlt wurden, mich nun nicht nach Hause tragen wollten, kompensieren. Körpermitte! Sag ich nur. Haltung! Körpermitte lernen wir. Auf der Schauspielschule. Manchmal weiß man einfach, wofür man etwas tut. Man lässt sich zur Schauspielerin ausbilden und treibt Sport, um für das Überleben zu trainieren. Isso. Geht mal auf die Berlinale. Vor allem, wenn Corona ist. Dann braucht man eine sehr, SEHR sportlich-professionelle Einstellung, um das durchzustehen. Im wahrsten Sinn des Wortes, wie ihr ja gerade lest.
Überhaupt ist Stehvermögen von Vorteil.
Zum Beispiel wenn ihr nicht am Fotocall teilnehmen dürft. Eine Maßnahme, um die Teilnehmerzahl auf dem roten Teppich zu reduzieren. Nur die Stars! Und noch ein paar. Tja. Ich war nicht dabei. Zum Glück war ich auch darin geübt. Ich war ja schon in Saarbrücken, auf dem Max Ophüls Festival, mit einem anderen tollen Film, da durfte ich auch nicht mit zum Call. „Nur die Stars.“
Bei der Berlinale hab ich noch dazu gelernt, dass auch der VIP Bereich, Stars vorbehalten ist. Oder was heißt Stars. Einigen. Anderen nicht. Ich war die einzig andere vom Schauspielensemble. Dem größten Teil des Teams erging es wie mir. Die VIP's bekamen einen Sekt, wir nicht. Wir waren durch ein rotes Absperrband getrennt. Auf unserer Seite war es eng und Alkohol verboten. Eine ehemalige Studienkollegin prostete mir (von drinnen) zu. Ich muss sagen, dass war ein ungutes Gefühl.
Die Filmbranche war immer schon hierarchischer als das englische Königshaus. Vielleicht hätte man einfach auf den VIP Bereich verzichten sollen... Deshalb mein Sturm auf die Bastille! Ich hatte ein Zugticket bezahlt. Ich wollte mir nehmen, was auch ich brauche, um jemand zu sein: Ein Foto auf dem roten Teppich. Kino wird nicht nur von Stars gemacht. Filme werden von Ensembles gespielt und von Teams gedreht. Abgesehen davon, dass wir doch so nicht sein wollen, oder? Keiner von uns will doch eine Gesellschaft, die nur ausgewählten Menschen offensteht, nicht wahr?!
Aber so einfach ist es eben nicht. „Haaaalt!“ schrien drei Coronaschutzbeauftragte, als ich die Absperrung durchbrach. Humpelnd. Auf meinen Eisklötzen. Aber schnell. Mit gezückter Selfiekamera. Die Damen waren noch schneller: „Kommen se mal ganz schnell runter von dem roten Teppich, junge Frau.“
„Dit is hier nur für Schauspieler!“
„Bin ich ja!!“ rief ich. „Ich hab da mitgespielt!“ Ich zeigte auf das Plakat meines Films. Die Mädels waren irritiert: „Echt jetzte?!“
„Ja! Hier! Sehen sie: Mein Band!“ Ich reckte mein VIP-Armband hoch. (Das immerhin, hatte man mir vergönnt)
„Ne, ne, junge Dame, da stimmt wat nich. die Schauspieler wurden schon fotografiert.“ Sie bauten sich vor mir auf. Drei starke Araberinnen, mit schön geschminkten, schwarzen Augen, scharfen Fingernägeln und sehr dichtem, langem Haar. Ich erklärte ihnen, wie es mir ergangen war. Sie hörten zu. Und dann kletterten sie selbst über die Absperrung. Alle drei. „Kann ja nischsein, ey!“ Eine hielt meinen Mantel. Die andere mein Telefon, die dritte, richtete mein Haar. „Siehst super aus!“ Daumen hoch. Drei Daumen. Ermutigendes Lächeln. Wie aus einem Mund. „Hey! Ick kenn disch sogar!“ (Inzwischen hatten sie mich gegoogelt.) „Aus dem Fernsehen! Bei RTL da hab ick dir jesehen.“
Ach, liebes Kino. Ich mag dich so. Glaube an dich. An das Knistern im Saal. An die erwartungsvolle Stille, die einkehrt, wenn der Film beginnt. Daran, dass man ein Publikum spüren kann, seine Stimmung, seine Laune, als wäre es EIN Ding. Ich schwöre auf die Macht von überdimensionalen Bildern und laute, mitreißende Musik.
Deshalb teile ich diese story auch mich euch. Weil nicht nur ich die Heldin war, die sich am Ende nahm, was man ihr vorenthielt, auch die drei Mädels, die nach Corona ihren Job als Sicherheitsbeauftragte bestimmt wieder verlieren werden, waren es. Wir vier haben „die Heldin“, da draußen, auf dem roten Teppich einer ziemlich kalten Berlinale dargestellt.
Und irgendwie bin ich fast sicher, dass das einer der Höhepunkte dieses Filmfests war. Tadaa!
P.S. Der Film, für den ich angereist war, hieß: „Echo“. Er soll im Sommer in die Kinos kommen, ist hochmusikalisch, ungewöhnlich und sehr sehenswert. Mareike Wegener, die junge Regisseurin hat ihn innerhalb eines Jahres gedreht, geschnitten, bearbeitet und uraufgeführt. In Berlin! Auf unserem Stehempfang war sie erschöpft. Nicht wegen dieser außergewöhnlichen Leistung, sondern weil sie „drei Tage lang mit der Umsetzung der Coronaregeln beschäftigt war“.
Was ich sagen will? Fuck! Es ist für alle schwer. Wirklich schwer. Mann kann nicht von einer jungen Regisseurin erwarten, dass ausgerechnet sie, die sich eigentlich für ihre Leistung feiern lassen sollte, die Coronaregeln gerecht biegt! Eine junge Produktionsfirma BRAUCHT die Gesichter, für die sie bezahlt hat! Die Berlinale ebenso! Ich bin unendlich dankbar, dass es diese Berlinale gab. Und sage ganz ausdrücklich: Die Veratnwortung für diese Schieflage liegt nicht bei den Veranstaltern. (Wer Zeitung liest, weiss, wie hart sie teilweise kritisiert wurden, weil die Berlinale ÜBERHAUPT stattfand.) DIE VERANTWORTUNG LIEGT BEI UNS. WIR sind die Gesellschaft. Nicht irgendein böser Papa Staat, oder irgendwer, der gerade die Verantwortung für die Konsequenzen zugeschoben kriegt. Wir müssen aufeinander aufpassen. Die gut gemeinten Sicherheitsmaßnahmen kosten nicht nur unendlich viel Geld. Sie riskieren Gemeinschaft. Existenz. Die „Gewinner“ der Krise sind immer „die Stars“. Amazon, etablierte Verlage, Marktführer, Streamingdienste. Und viele mehr. We are not together in this. Mehr sag' ich ja nich… Aber auch nicht weniger!